Quantcast
Channel: » Spices
Viewing all articles
Browse latest Browse all 12

Warum so bequem?

$
0
0

© Chris

Die Mauer fällt. Und damit wollte ich mich gerade schön kritisch auseinandersetzen, mich aufregen und den Kopf schütteln – darüber, wie bedeutende Denkmäler im Kampf gegen das große Geld klein beigeben müssen.

Zornige Worte bereits im Kopf zurechtegelgt, wollte ich schon lostippen, bis mir einfiel, dass ich auf der optischen Ebene nichts beizutragen hätte, schließlich funktioniert so ein Onlineartikel einfach nicht ohne visuelle Reize.
Verdammt.
Dabei hätte ich doch Einiges zu sagen gehabt. Mich darüber echauffiert, wie man einen Zeitzeugen einfach zerstört, ohne darüber nachzudenken, was er vielen Menschen bis heute noch bedeutet. Und mich total vor mir selbst blamiert, weil ich nicht einmal ein Foto von einem Denkmal habe, dessen bald endende Existenz ich doch so bitter betrauern wollte – in Zeiten von Instagram.

Eine Freundin hat es gestern genau auf den Punkt gebracht: wir benehmen uns wie kleine Kinder, denen man altes Spielzeug wegnimmt. Und zwar nicht nur, wenn es um den Abriss der East Side Gallery geht, sondern in jeder erdenklichen Lebenslage.
Sind es gewohnt, auf alles und jeden zurückgreifen zu können, aber eben nur dann, wenn wir es für nötig halten.

Wie oft hörte ich Menschen sagen, wie gern sie mehr Zeit mit ihren Eltern verbracht hätten, hätten sie doch bloß noch einmal die Chance dazu gehabt. Warum haben sie dann genau diese Zeit für bedeutungslose Streitereien verschwendet? Wie schnell lässt man sich zum altbewährten “früher war alles besser”-Spruch hinreißen, ohne sich darüber bewusst zu werden, dass man sich früher genauso oft beschwert hat? Und warum wird uns die Bedeutung einer Sache – oder eines Menschen – erst bewusst, wenn es schon zu spät zu sein scheint?

Um wieder auf die East Side Gallery zurückzukommen, musste ich mir selbst eingestehen, dass ich eigentlich gar kein Recht dazu hätte, mich über den Abriss aufzuregen. Einfach weil mich die Existenz der “Mauer” während der letzten Jahre ungefähr so viel gekümmert hat wie Lindsay Lohan ihr guter Ruf. Weil ich für etwas, was mit viel bedeutet, nicht erst nach einem Bild auf twitter fragen müsste. Weil die Gewissheit sehr bequem war, dass sich andere schon um die Betonklötze sorgen würden.
Es macht traurig, sich selbst dabei zuzusehen, wie ignorant man wird, solange man sich in Sicherheit wähnt. Und gleichzeitig froh über den aha-Moment, an dem man realisiert, dass man sehr wohl die Chance hat, auf etwas EInfluss zu nehmen und mehr Zeit mit geliebten Menschen und Dingen zu verbringen, solange man aktiv etwas dafür tut. Eben weil sie kein altes Spielzeug sind. Und weil die Komfortzone der wohl gefährlichste Ort der Welt ist.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 12

Trending Articles